Im Kontext der bundesweit geführten Verhandlungen über die Eigentumsübertragung und Rückgabe der 1897 von britischen Soldaten aus dem Königreich Benin geraubten Hofkunstwerke an Nigeria beschäftigt sich das RJM intensiv mit dieser Geschichte. Zum allerersten Mal überhaupt präsentierte das RJM, das die viert größte Sammlung in Deutschland bewahrt, seine insgesamt 96 Benin Hofkunstwerke 2021 in der Sonderausstellung „RESIST! Die Kunst des Widerstands“. In I MISS YOU wird nun jedes der 96 Werke in seiner besonderen Individualität inszeniert und nicht nur ihre Schönheit gezeigt, sondern es wird auch an den Schmerz, den Verlust und die Trauer erinnert, die mit ihnen verbunden sind.
In der Hochphase der kolonialen Kriege auf dem Afrikanischen Kontinent als Europa versuchte, die Bevölkerung Afrikas zu unterwerfen wurden diese 96 Benin Hofkunstwerken 1897 mit tausenden anderen gewaltvoll aus dem Palast des Königreichs Benin von Britischen Soldaten geraubt. Entthront, entwurzelt, entfernt und entweiht, seitdem sind diese wichtigen Erinnerungsspeicher – das materielle Archiv des 500-jährigen Königreichs – weltweit in europäischen und amerikanischen Museen verstreut. Das ist die tragische Geschichte dieser Werke und um sie drehen sich heute die Debatten über Rückgabe.
Die Werke, die wir hier sehen sind Fragmente lokaler und globaler, vergessener, verdrängter und miteinander verflochtener Geschehnisse, über die nur lückenhaftes Wissen vorliegt. I MISS YOU ist also ein Projekt, das sich schrittweise durch unterschiedlichste Narrative über in der Kolonialzeit geraubte Kulturgüter erweitert, sowohl im analogen als auch im digitalen Raum. Es geht um gebrochene Erinnerungen, um koloniale Phantomschmerzen und Traumata, die durch die kolonialen Hinterlassenschaften von Verwüstung und Enteignung hervorgerufen und über Generationen weitergegeben wurden. Das Trauma betrifft auch diejenigen, die lange nach der Unabhängigkeit Nigerias von der Kolonialmacht Großbritannien im Jahr 1960 geboren wurden, sowohl in Nigeria als auch in der Diaspora in Deutschland und hier in Köln.
Mit I MISS YOU öffnen wir unsere Türen auch für die Zusammenarbeit mit Nachfahren, Expert*innen und Institutionen in Nigeria und der nigerianischen Diaspora auch in NRW, um sie selbst zu einem sprechenden Teil dieser Debatte über ihr kulturelles Erbe zu machen, das in Köln bewahrt wird. I MISS YOU bietet Raum, um sich zu treffen und für die Auseinandersetzung mit dieser langen und vielschichtigen Geschichte der Benin Hofkunstwerke, hinter der sich viel mehr verbirgt als die Rückgabe allein. Hier im Museum können die verschütteten Erinnerungen an den Verlust reaktiviert werden.
I MISS YOU ist also ein Versuch, Abwesenheit in Anwesenheit zu verwandeln. Damit wird es eine Plattform für Trauerarbeit, für einen fortlaufenden und nie endenden Prozess der Heilung kolonialer Risse in unserer Gesellschaft. Was könnte es für Museen bedeuten, aktive Akteure in der „globalen Reparatur“ von transgenerationell weitergegebenen kolonialen Traumata zu werden?